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Lebensqualität Langenthal - wohin?



Das Langenthaler Stimmvolk hat am 22. Januar 2023 eine Steuererhöhung mit einem Nein-Stimmenanteil von 54.17 % abgelehnt. Die Stimmbeteiligung lag bei 27.77 %.

Ich muss gestehen, im ersten Moment verfiel ich der Illusion, die Politik werde diesen Weckruf hören.

«Das Resultat wird überbewertet, Regina. Die Stimmbeteiligung lag bei nicht viel mehr als einem Viertel».

Ist das tatsächlich so? Ist ein Resultat nicht repräsentativ, wenn nur etwas mehr als ein Viertel der Stimmberechtigten ihre Stimme auch tatsächlich abgibt? Das Meinungsforschungsinstitut Sotomo zieht regelmässig repräsentative Schlüsse aus der Befragung von 75'000 Schweizerinnen und Schweizern. Das sind bei einer Einwohnerzahl von 9 Millionen 0.8 %. Man braucht also nicht Statistikerin zu sein, um zu merken, dass die Aussage offensichtlich falsch ist.

Dennoch wurde der Langenthaler Stimmbevölkerung (nach 5-monatigem unermüdlichen Erheben des Warnfingers) am 18. Juni 2023 die praktisch gleiche Vorlage nochmals präsentiert. Die Stimmbeteiligung lag diesmal bei 43.1 %. Die Steuererhöhung wurde in einer Variantenabstimmung mit einem denkbar knappen Resultat von 50.13 % zwar angenommen, jedoch deutlich übertroffen von den Ja-Stimmen für die Beibehaltung der bisherigen Steueranlage (hier lag der Ja-Stimmenanteil bei 67.6 %).

Meines Erachtens hat das Stimmvolk hier mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass es nicht länger über seinen Verhältnissen leben will.

«Der Grossteil unserer Ausgaben ist gebunden, Regina. Da können wir nichts tun.»

Nicht können oder nicht wollen? Sind gebundene Ausgaben gottgegeben? Das strukturelle Defizit ein Naturgesetz? Müssten solche bindenden Verträge, wenn sie nachhaltig unser Budget übersteigen, nicht überdacht und neu verhandelt werden?

Die Stadt erfüllt ihre Ziele im Rahmen ihrer rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten (Art. 2 Abs. 2 Langenthaler Stadtverfassung). Die Kosten im Griff zu halten, ist eine der grundlegendsten Aufgaben von Politik und Verwaltung. Das trifft auch auf geplante Neuausgaben zu wie etwa die Verkehrslösung Langenthal. Brauchen wir die tatsächlich bzw. will das Volk sie überhaupt und wenn ja, zu welchen Konditionen?

«Die Zeit drängt, Regina. Wenn wir die Projekte nicht bald verabschieden, verfallen die Beiträge von Bund und Kanton.»

Wir alle wissen, dass auch bei Bund und Kanton das Geld nicht vom Himmel fällt. Weniger ist manchmal mehr.

Die IB Langenthal AG titelt auf ihrer Homepage «Strom ist Lebensqualität». Gleichzeitig kündigt sie für 2024 eine weitere Strompreiserhöhung an. Was tut eigentlich die Stadt dagegen? Ist die Politik auch hier der Meinung, ihr seien die Hände gebunden, obwohl sie die Alleineigentümerin unserer stadteigenen Energiedienstleisterin ist?

Zusätzlich zu den sich ohnehin abzeichnenden Mehrkosten im kommenden Jahr soll eine Abgabe auf Gas eingeführt werden. Davon werden etwa ¾ der Privathaushalte und praktisch die ganze Industrie betroffen sein. Auf deren Budget wird sich die Abgabe wie eine Extra-Steuererhöhung auswirken und die Steuererhöhung ist ohnehin bereits wieder in der Pipeline.

Wir Langenthalerinnen und Langenthaler werden uns im kommenden Jahr mit einer Steuererhöhung, mit einem weiteren Kaufkraftverlust, mit weiter steigenden Hypothekar- und Mietzinsen, Krankenkassenprämien und Energiepreisen sowie mit der Einführung einer Gasabgabe konfrontiert sehen. Es werden Gesamterneuerungswahlen stattfinden und eine Grosszahl der Kandidierenden wird von sich behaupten, für eine lebenswerte Stadt einzustehen.

Bloss: Was ist Lebensqualität eigentlich?

Ist sie messbar etwa an der Anzahl Freizeitangeboten oder kulturellen Einrichtungen, am Ausbaustandard der Strassen oder am Grad der Zentralisierung von Kindergärten? In zweiter Linie möglicherweise. In erster Linie bedeutet Lebensqualität aber, am Ende des Monats die Rechnungen bezahlen zu können, es aus eigener Kraft zu schaffen, unabhängig zu sein, selber entscheiden zu können. Dafür müssen die Fixkosten jeder Bürgerin und jedes Bürgers möglichst tief gehalten werden. Das schafft finanziellen Freiraum. Deshalb muss die Politik manchmal auch unbeliebte Entscheidungen treffen. Auch in Wahljahren. Das ist Verantwortung.

Tut sich in Langenthal also gerade eine Kluft zwischen dem Volk und seinen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern auf? Geht dem Volk das Vertrauen in die Politik verloren? Sollte dies zutreffen, wäre die tiefe Stimmbeteiligung nicht Ausdruck von Desinteresse, sondern von Konsternation.

Unsere FDP-Ständeratskandidatin Sandra Hess sagte kürzlich in einem Interview mit der Berner Zeitung BZ: «Ich glaube, etwas weniger Abgehobensein täte Bundesbern gut». Die Frau hat recht. Ich wünschte mir allgemein etwas mehr Demut in der Politik.



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