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AutorenbildDiego Clavadetscher

Zehn Gedanken zur kommenden Budgetabstimmung

Aktualisiert: 21. Dez. 2023

Der Stadtrat empfiehlt den Stimmberechtigten einstimmig (d.h. mit 40 zu 0 Stimmen), das Budget 2024 anzunehmen, welches eine Steuererhöhung um 0.6 Einheiten vorsieht.



Wie kann man als bürgerliches Mitglied des Stadtrats auf die Idee kommen, bei einem Eigenkapital von rund 65 Mio. per Ende 2023 einer Steuererhöhung zuzustimmen?

Es sind die finanzpolitischen Realitäten. An einem Anlass vom 29.11.2023 haben Mitglieder des Stadtrats folgende Elemente aufgezeigt:


1.) Das Eigenkapital ist bloss eine rechnerische Grösse, es zeigt den Unterschied zwischen den Aktiven (Finanz- und Verwaltungsvermögen) und dem Fremdkapital. Eine Gemeinde mit einem hohen Eigenkapital ist zwar «reich». Sie ist aber nicht unbedingt «liquid», d.h. sie verfügt nicht unbedingt über ein Liquiditätsüberschuss (d.h. mehr Finanzvermögen als Fremdkapital). Mit anderen Worten, mit Eigenkapital kann man auf dem Markt nichts kaufen, zum «Kaufen» benötigen man «Geld» oder Liquidität.


2.) Unsere Stadt hatte das Glück, im Jahr 2006 ihre Beteiligung am Stromunternehmen Onyx Energie Mittelland AG für den sensationellen Preis von rund MCHF 103 zu verkaufen. Dieser einmalige Vorgang hat den finanziellen Handlungsspielraum unserer Stadt massiv vergrössert. Dieser Handlungsspielraum wurde u.a. für zwei finanzpolitische Massnahmen genutzt.


3.) Einerseits wurde – in mehreren Schritten – die Steueranlage herabgesetzt. Von 1.62 im Jahr 2006 auf 1.38 im Jahr 2011. Damit wurde ein nicht unerheblicher Teil des Onyx-Segens dazu verwendet, die Steuerzahlenden unserer Stadt zu entlasten. Ein Steuerzehntel, d.h. 0,1 der Steueranlage, macht in Langenthal – bezogen auf die Jahresrechnung 2022 – rund MCHF 2.6 aus. Der dadurch einhergehende Einnahmenrückgang konnte (ganz oder teilweise, hier fehlt im Moment eine Vergleichsberechnung) durch Finanzerträge kompensiert werden, welche über die Anlagetätigkeit erzielt wurden. Diese fallen aber– siehe unten Ziff. 7 – immer mehr weg.


4.) Andererseits setzte – immer mit hohen Zustimmungswerten in den entsprechenden Volksabstimmungen – eine rege Investitionstätigkeit ein. Es wurden vor allem Investitionen nachgeholt, die man sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht leisten konnten, weil das Geld dazu fehlte.


5.) Diese Investitionstätigkeit hatte zunächst keinen relevanten Einfluss auf das Eigenkapital unserer Stadt: Sie blieb gleich «reich», weil primär Finanzvermögen in Verwaltungsvermögen umgewandelt wurde. Auf die lange Sicht wirkt sich diese Investitionstätigkeit aber auf die Jahresrechnung aus.


6.) Einerseits müssen die Investitionen abgeschrieben werden; diese Abschreibungen belasten die Erfolgsrechnung und reduzieren somit das Eigenkapital. Seit 2016 (Einführung von HRM2) gelten aufgrund von kantonalen Vorschriften neue Abschreibungsvorgaben, damit ist ein Vergleich mit früheren Jahren wenig sinnvoll. Im Jahr 2016 betrugen die jährlichen Abschreibungen noch MCHF 2.7, im Budget 2024 wird mit einem jährlichen Abschreibungsaufwand von MCHF 4.74 gerechnet. Die Erfolgsrechnung 2024 wird – gegenüber dem Vergleichsjahr 2016 – aufgrund der Investitionstätigkeit mit rund MCHF 2.04 mehr belastet. Die beantragte Erhöhung der Steueranlage würde jährliche Mehreinnahmen von rund MCHF 1.5 bringen. Sie kompensiert somit eigentlich nur das Abschreibungswachstum und dient nicht zur Finanzierung von weiteren anderen Ausgaben.


7.) Andererseits bewirkt die Investitionstätigkeit einen Rückgang des liquiden Vermögens: Die Investitionskosten müssen bezahlt werden, dies führt zu einem Rückgang der liquiden Mittel, respektive zu einer Erhöhung der Verschuldung. In der Jahresrechnung 2022 betrug das Netto-Finanzvermögen des steuerfinanzierten Haushaltes noch MCHF 15.4; im Laufe des Jahres 2023 wird es voraussichtlich erstmals seit dem Jahr 2006 auf einen negativen Wert (voraussichtlich rund MCHF -5.9) fallen.

Dieser Rückgang des Netto-Finanzvermögens hat auch Auswirkungen auf die Erfolgsrechnung: Die Erträge aus den Finanzgeschäften fallen weg, gleichzeitig steigt der Aufwand für die Fremdkapitalzinsen.


8.) Zwischenfazit: Die Onyx-Millionen haben – mit Zustimmung der Stimmberechtigten – zu einer regen Investitionstätigkeit geführt; diese Investitionen haben einen positiven Einfluss auf die künftige Lebensqualität in unserer Stadt; finanzpolitisch haben sie aber den Preis, dass wir unsere Liquidität aufgebraucht haben und dass wir unsere künftigen Jahresergebnisse mit Abschreibungs- und Zinsaufwand belasten werden.

Die Investitionen wurden beschlossen und sind Realität; diese kann (bspw. durch eine Ablehnung des Budgets) nicht mehr verändert werden. Die beantrage Erhöhung der Steueranlage ist eine Konsequenz der Investitionstätigkeit und damit ein Akt der Vernunft. Sie erfolgt nicht auf Vorrat, sondern im Zeitpunkt, in welchem die Stadt Langenthal erstmals seit 18 Jahren wieder in eine Verschuldungssituation kommt.


9.) Wahrscheinlich besteht ausserhalb der Investitionstätigkeit Einsparungspotential. Die politischen Strukturen in Langenthal sind aber so gelegt, dass der Stadtrat aktuell in diesem Bereich faktisch kaum vernünftige Einsparungen vornehmen kann, er kann einzig das Ausgabenwachstum bremsen oder verhindern. Dies soll sich inskünftig verbessern. Es wurde eine Kommission eingesetzt, welche sich mit neuen finanzpolitischen Instrumenten für unsere Stadt beschäftigt. Sie wird voraussichtlich anfangs 2024 ihre Arbeit mit – hoffentlich – konstruktiven Vorschlägen abschliessen.


10.) Fazit: Die Steuererhöhung ist zwar nicht erfreulich, sie ist aber aufgrund der bereits beschlossenen Investitionstätigkeit bedingt und damit – früher oder später – unausweichlich.


Dieses Zugeständnis an die nüchterne Realität bedeutet nicht, dass wir die finanzpolitischen Zügel schleifen lassen: Langenthal soll ein modernes und effizientes finanzpolitisches Instrumentarium erhalten, das den langfristig verantwortungsvollen Umgang mit unseren finanziellen Ressourcen sicherstellt. Daran arbeiten die gewählten Vertreter*innen unserer Partei.


Unter Positionen und Aktivitäten gelangen Sie zur Präsentation (Foliensatz), welche anlässlich des Anlasses vom 29. November 2023 von den Mitgliedern des Stadtrates präsentiert wurde.

1 Kommentar

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Guest
Oct 02

Die FDP stellt die richtigen Fragen. Offenbar bestehen beim Stadttheater wesentliche Leistungen und Kosten, die nicht durch den Leistungsauftrag mit der regionalen Kulturförderung abgedeckt und deshalb von der Stadt selbst zu finanzieren sind. Diese Leistungen müssten definiert und transparent dargestellt werden, damit der Stadtrat und der Stimmbürger weiss, was er im Rahmen des Budgets überhaupt bewilligt.

Beat Sterchi

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